2002-08-20

Wonderful Town - A Conference on the Future of Theater in New York

Versucht nicht jeder Theatermanager, etwas out of the box zu erreichen? Eine echte Innovation an den Markt zu bringen? Den Produzenten des Broadway-Erfolgsmusicals The Producer mit Mel Brooks ist jedenfalls ein solcher Coup gelungen. Am 27. Oktober kündigten sie an, zukünftig für jede Show ein Kontingent von fünfzig Last Minute-Karten zum stolzen Preis von $480 (in Worten: vierhundertachtzig) anzubieten. Diese Idee jedenfalls kam direkt aus der Box, der Ticketbox. Das Management erwartet - trotz der $150, die von jedem Ticket für Mayor Giulianis Twin Tower Fund abgehen - wöchentliche Mehreinnahmen in Höhe von $120,000. Hintergrund der Entscheidung, auf die sowohl mit unverhohlenem Neid als auch heftigster Ablehnung reagiert wurde, sind die sogenannten scalper, die Schwarzmarkt-Verkäufer. Solche ticket broker haben bereits (zum Teil auch illegal) The Producer-Karten für $800 verkauft. Die Entscheidung des Management ist ein erstaunlicher Schritt. Copy cats sind vorprogrammiert, sollte dieser Versuch, der darauf setzt, Marktkräfte auch beim Ticketverkauf wirken zu lassen, erfolgreich sein. Und damit wird allgemein gerechnet.

Ein Rückblick auf die Konferenz von unserer Korrespondentin Julia Glesner, Mainz
Um so erstaunlicher ist diese Entscheidung innerhalb der Broadway-Szene, als nach den Ereignissen des 11. September dort ganze Shows schlossen; darunter natürlich auch solche, die bereits before the thing happened kränkelten. Aber auch Touristenhits wie die Blue Man Group und Stomp sahen sich zum ersten Mal mit Hunderten leerer Sitze konfrontiert und verloren dadurch bis zu $10,000 pro Tag. Zwar sind bei solchen Off Broadway-Shows die Kosten geringer, da sie nicht an die sogenannten union agreements der Theater am Broadway gebunden sind. Trotzdem entließ die Blue Man Group mehrere Angestellte, reduzierte die Zahl der Aufführungen und strich Witze, die auf Flugzeuge und das star-spangled banner anspielten, aus dem Programm. Mit ihren fünfhundert Angestellten in New York, Boston und Las Vegas war die Blue Man Group in Manhattan selbst kaum bekannt. Während vor dem 11. September ihre Marketingstrategie auf das touristische Publikum und Mundpropaganda setzte, versuchen sie jetzt, das urbane New Yorker Publikum in den Vororten zu erreichen. Auch wenn die Stadt unter Spannung bleibt und die Nervosität nur begrenzt nachgelassen hat, normalisierten sich bereits einen Monat nach den Anschlägen zumindest die Verkaufszahlen wieder. Am Tag jedoch, an dem der erste Fall von Milzbrand in New York City bekannt wurde, ging die Zahl der Reservierungen erneut wieder dramatisch zurück.

Als das National Arts Journalism Program an der School of the Arts der Columbia Universität (www.najp.org) den Kongreß Wonderful Town - A Conference on the Future of Theatre in New York für den 20. und 30. Oktober plante, sah die Zukunft des New Yorker Theaters trotz beginnender ökonomischer Schwierigkeiten noch ganz anders aus. In der Formulierung Wonderful Town schwingt heute - ebenso wie bei dem roten Herz auf dem Werbeplakat I love NY, zu dem jetzt more than ever hinzugefügt wurde - ein schwarzer Schatten mit. Die Fragen, die sich für New Yorker Theatermanager noch im Frühsommer diesen Jahres stellten, haben sich fundamental gewandelt. Diese veränderten Bedingungen nach Nine-Eleven, wie die New Yorker, die Ereignisse des 11. September zusammenfassen, spiegelten sich im Programm der Konferenz, das von Initiativen in Folge der Anschläge über aktuelle Forschungsberichte hin zu Fragen des Immobilienmarktes, der urbanen Erneuerung und der Medienberichterstattung reichte.

"Theatre is an absolutely vital and integral part of New York City's economy," formulierte Evangeline Morphos von der Theater-Fakultät der Columbia Universität in ihrer Begrüßung. Als neutraler Ort gäbe die Universität Raum, um Fragen, die sich in der Folge von 9/11 nur noch verstärkt haben, gemeinsam zu diskutieren. Jed Bernstein zufolge gäbe es keinen Grund für diese Konferenz, wenn sich die kommerziellen Theater immer so verhielten wie in den letzten Wochen. Dabei dachte er weniger, an die Entscheidung der Producer, sondern vielmehr an die Initiativen, die sich direkt nach dem 11. September bildeten. Die League of American Theatres and Producers, deren Präsident Bernstein seit 1995 ist, traf sich bereits am 13. September, um direkte Maßnahmen zu ergreifen. In Abstimmung mit den Partnern der Union beschlossen sie eine Reduzierung der Kosten um 25%, an der sich jede Kostengruppe beteiligen sollte. So wurden zum Beispiel auch die Mieten für die ersten Wochen nach den Anschlägen reduziert. Unter dem Motto Dancers on Broadway sollte ein Werbespot im Fernsehen den Schwund des Publikums aufhalten. Weil diese Initiative gemeinschaftlich und vor allem schnell beschlossen wurde, war sie Bernstein zufolge gerade im Vergleich zur Hotelindustrie effektiv. Die Situation sei ?remarkably healthy", jedoch nicht robust genug für die schwachen Monate Januar und Februar.

Dabei war Mayor Giulianis Aufforderung eine enorme Hilfe gewesen. Giuliani hatte bereits am 16. September aufgefordert: ?To people from all over the country who want to help, I have a great way of helping: Come here and spend money. Go to a restaurant, see a show. The life of the city goes on." Damit zog derselbe Bürgermeister, der noch im Jahr zuvor den Künsten in New York unvorstellbar konservative Restriktionen auferlegte und die nun vollkommen vergessen scheinen, einhelliges Lob auch von den Theaterleuten auf sich. Sein Zitat verwendete die League of American Theatres and Producers für ihre jüngste Werbekampagne: Giulianis Aufforderung prangt jetzt gemeinsam mit dem abgewandelten Logo I love NY Theater auf einem Foto, das als Hintergrund die Straßenschluchten Manhattans zeigt, nicht nur von ganzseitigen Anzeigen in der New York Times, sondern auch von einer riesigen Werbewand am Broadway. Bis zum 31. Oktober gingen von Shows wie Aida, The Beauty and the Beast, Chicago, Proof, Urinetown und vielen anderen pro verkauftes Ticket je $5 an den Twin Tower Fund Giulianis.
?The story is not yet over, but we are pretty well in the chaptres," faßte Jed Bernstein die Situation aus seiner Sicht zusammen. Die Theater, die Virginia Louloudes in der Alliance of Resident Theatres/New York vertritt, würden dieser Einschätzung sicherlich nur eingeschränkt zustimmen. Seit Louloudes die Alliance leitet, hat sich nicht nur das Budget dieser Organisation für non-profit theatres verdreifacht; auch die Zahl der Mitglieder stieg von 150 auf 400. Einige der Theater der Alliance arbeiteten von Büros im World Trade Center; andere wiederum liegen im Gebiet von Ground Zero. So mußte das Soho Repertory Theatre nicht nur für einige Zeit schließen. Als es wieder eröffnete, mußten sie den Polizisten, die das Gebiet an den Barrikaden immer noch absicherten, Listen mit den Namen der Besucher geben, die für diesen Abend Karten reserviert hatten. Nur so durften die Besucher das Viertel um das Soho Repertory Theatre überhaupt betreten. Das Repertory Espagnol spielt hauptsächlich für Schüler. Jetzt wurden jedoch alle Schulausflüge abgesagt. Nur noch Schulklassen von den Vororten New Yorks kommen. ?A tough road lies ahead of us," kommentierte die ausgesprochen enthusiastisch und engagiert argumentierende Louloudes, deren Organisation bald den 30. Geburtstag feiern wird. Vergleichbare Situationen wie nach Erdbeben in Californien haben Loulourdes gezeigt, daß unmittelbares Handeln gefordert ist: Die Bereitschaft, Geld zu geben, nehme schnell wieder ab. ?If there is no money, tell it us now," rief sie in die Runde.

In der Sektion Research Frontlines konnte die NAJP den Sozialwissenschaftler Kevin McCarthy von der RAND Coporation (www.rand.org) gewinnen. Seit ihrer Gründung 1946 durch ihren ersten Klienten, die US Air Force, unterstützt die Rand als non-profit Organisation die Entwicklung politischer Richtlinien und Entscheidungsprozesse durch ihre Forschung. Sie war übrigens die erste Organisation, die think tank genannt wurde. McCarthy veröffentlichte in den letzten Jahren neben "A New Framework for Building Participation in the Arts" auch "The Performing Arts in a New Era". In New York präsentierte er seine jüngsten Forschungsergebnisse in kondensierter und visuell ansprechender Form. Damit hob sich McCarthy von den nachfolgenden Sprechern in dieser Sektion stark ab. Diese kamen mit Charts voller kaum lesbarer Ziffern, von denen doch nur ausgewählte Zahlen Indikatoren sind und die kaum Erkenntnisse für ein Publikum vermitteln, das vor allem an den praktischen Schlußfolgerungen aus diesen Zahlen interessiert ist. McCarthys Ergebnissen zufolge zeigt für die Frage der Partizipation an den darstellenden Künsten ein gemischtes Bild: Zwar stieg die absolute Zahl der Teilnehmenden; sie beruht jedoch auf dem generellen Bevölkerungswachstum und regelmäßig wiederkehrenden Besuchern. Die Grenze zwischen den kommerziell ausgerichteten und non-profit Theatern verschwimme, und die Wachstumsraten unterschieden sich dabei je nach Sektor scharf. Mittelgroße Organisationen seien dabei - und dies bereits vor dem 11. September - mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Marketingstrategien werden übergreifend immer wichtiger, so McCarthy. Die durchschnittlichen, realen Ausgaben seien weitgehend stabil geblieben und stellten die Hälfte der Einkünfte der non-profit Theater dar. Die Kluft der restlichen 50% werde meistens mit Unterstützung aus dem öffentlichen Bereich geschlossen; hier wachsen insbesondere Subventionen auf der Ebene der Einzelstaaten und der örtlichen Regierungen. Innerhalb der darstellenden Künste findet das Schauspiel im Vergleich zum Ballett beispielsweise vom Publikum den höchsten Zuspruch, so McCarthy. Auch sei die Abhängigkeit von den Medien hier geringer, erklärte McCarthy. Die Gründe hierfür seien ihm jedoch nicht klar.

Die Transkripte der Vorträge sollen in Kürze auf der Homepage des NAJP erscheinen. Mit der Konferenz Wonderful Town hat das NAJP innerhalb seiner Aktivitäten als Diskussionsforum zwischen Künsten und Journalismus ein weiteren maßgeblichen Beitrag zum Gespräch zwischen Theater, Management und Journalismus geliefert. Während die School of the Arts bereits 1965 gegründet wurde und seit 1989 eine engere Verbindung von praktischer und theoretisch-historischer Ausbildung mit dem Abschluß eines Master of Fine Arts in Film, Theatre Arts, Visual Arts und Writing anbietet, startete das National Arts Journalism Program erst 1994. Sein Fokus auf die Künste mit dem Ziel ?to enhance the quantity of arts coverage in the press" macht es im US-amerikanischen Ausbildungssystem einzigartig. Das Programm zielt auf eine breite, engagierte und durchdachte Diskussion sowohl der Positionen, die die Künste in der Gesellschaft einnehmen, als auch kultureller Themen, die unterschwellig die Beurteilung der Künste beeinflussen. Neben seiner Präsenz als Institution im öffentlichen Diskurs setzt das Programm auf ein starkes Netzwerk unter den Alumni. Das NAJP bietet Fellowships für Journalisten an und hat sich durch Konferenzen, Publikationen und Forschungen als Dialogforum prominent innerhalb des Kunst- und Kulturjournalismus etabliert.

Auf die jüngsten Etatkürzungen aller New Yorker Dezernate um 15% hat jetzt übrigens die Andrew W. Mellon Foundation reagiert. Sie will zusätzlich zu den jährlich rund 44 Mio. Dollar für die Geisteswissenschaften und Künste weitere fünfzig Millionen Dollar für Kulturorganisationen, die in Folge des 11. September in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, zur Verfügung stellen. Well, the show will go on.

Quellen: New York Times, FAZ, Konferenzunterlagen, NAJP-Broschüren.

http://www.najp.org
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